Was ist ein Haaland wert, der keine Tore schießt?

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Erling Haaland soll Manchester City endlich zum Titel in der Champions League schießen. Doch im Achtelfinale gegen RB Leipzig fremdelt der Stürmer, der auf einmal mit dem Toreschießen aufgehört hat. Hat Guardiola sich verpokert oder kommt die Götterdämmerung?

Es ist diese 68. Minute, diese eine kleine Chance, die so viel beinhaltet. Die so vieles versinnbildlicht. Die gar möglicherweise den Fall eines Gottes beschreibt. Auf einmal kommt beinahe aus dem Nichts ein tiefer Ball in den Lauf Erling Haalands an (Vorwarnung: Davon gibt es an diesem Abend vor 45.228 Fans in Leipzig nicht viele). Der Starstürmer von Manchester City schüttelt Josko Gvardiol im Laufduell locker ab, sticht in seiner unvergleichlich explosiven Art mit mächtigen Schritten in den Strafraum hinein. Doch aus halbrechter Position verzieht der Norweger deutlich am langen Pfosten vorbei.

Was beim BVB und in den vergangenen Monaten bei den Skyblues ein beinahe schon logisches Tor bedeutet hätte, ist beim 1:1 zwischen RB Leipzig und den Citizens im Hinspiel des Achtelfinals in der Champions League nur ein kümmerliches Schüsschen. An diesem Abend? Ach was, so geht das in Manchester seit Wochen. Haaland hat nun lediglich ein Tor in seinen letzten sechs Partien erzielt. Dabei ist solch eine mittelmäßige Statistik eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit im Torjägerleben des Wundertalents.

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Fußball22.02.23

Erst chancenlos, dann starkRB Leipzig verdient sich Hoffnung gegen Manchester

Aber doch, Haaland menschelt. Oder besser verpackt in der Mythologie seiner Heimat: Der Abend in Leipzig zeigt, dass der Norweger in der zweiten Hälfte der Saison mehr und mehr vom Donnergott Thor, der den Gegner mit all seiner Kraft und Stärke tagein und -aus Respekt, Angst und Schrecken einflößt, zu Gestaltenwandler Loki verkommt. Mal ist er da, mal nicht. Dieser Tage weiß man tatsächlich nicht mehr, welche Leistung man zu Gesicht bekommt. Wo früher klar war, dass Haaland immer für ein bis zwei Tore gut war, lässt er sich im System von Manchester City gut in Schach halten.

„Das ist extrem bitter“

„Natürlich hätte auch von Haaland mehr kommen können“, erklärt Trainer Pep Guardiola nach der Partie, aber er mache sich keine Sorgen, dass der Torjäger schon bald wieder treffen werde. „Wir haben von ihm nicht viel zugelassen“, sagt RB-Angreifer Emil Forsberg. „Wir haben ihn gut verteidigt und deshalb ist im Rückspiel noch alles offen.“ Verehrt, so wie einst Thor, wird der nicht mehr so treffsichere Stürmer auf der Insel schon längst nicht mehr von allen. Loki-Haaland muss, gleich dem schon immer unbeliebten Gestaltenwandler der Mythologie, sogar ordentlich Kritik einstecken, doch dazu später mehr.

Direkt im Gegenzug an diese vermaledeite 68. Minute gleicht Leipzig aus. Nach einer Ecke steigt Gvardiol am höchsten, stützt sich dabei gegen Ruben Dias gerade so viel auf, dass nicht abgepfiffen wird und nickt ein. „Leipzig’s on fire“, singen die Fans und tanzen. Guardiola schaut in der Hocke an der Seitenlinie zu, springt auf, spuckt kurz aus – und kann es nicht glauben. Dabei ist der Treffer zu diesem Zeitpunkt alles andere als unverdient.

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Josko „Air“ Gvardiol hebt ab und trifft zum 1:1.

(Foto: IMAGO/Karina Hessland)

Nach einer ersten Hälfte, die in Sachen Einseitigkeit und mit einem City-Ballbesitz von teilweise 80 Prozent schon fast an Absurdität grenzte, dreht RB in Halbzeit zwei auf. Sie rennen wütend an, der eingewechselte Benjamin Henrichs hat in der 53. Minute per Kopf die erste Chance, doch der Ball fliegt knapp über das Tor. Nur zwei Minuten später vergibt er sträflich alleingelassen aus zwölf Metern eine ungleich größere Möglichkeit kläglich. Mit rechts schiebt er die Kugel am langen Pfosten vorbei und sagt im Anschluss: „Den Ball muss ich aufs Tor bringen. Das ist extrem bitter.“

Auch Timo Werner wird in der zweiten Halbzeit besser, tankt sich kurz nach der Großchance auf der linken Außenseite stark durch und Torwart Ederson kann seine scharfe Hereingabe gerade noch vor Forsberg klären. In der 63. Minute dribbelt sich André Silva im Strafraum bis zu Ederson durch, aber geht per Lupfer zu leichtfertig mit der Chance um. Dann stellt Gvardiol mit seinem Kopfballtreffer den Spielverlauf der ersten Hälfte auf den Kopf.

Haalands Verwandlung im System Guadiolas

In jenen dominanten ersten 45 Minuten, zeigt sich aber, was der Fall des Gottes Thor für Guardiola und sein Team für bitterböse Nachrichten mit sich bringt. Haaland joggt noch selbstbewusst, breitschultrig und -beinig wie eh und je zum Aufwärmen auf den Platz. Wie ein Berserker, ein Vikinger, wie eine nordische Gottheit eben. Schließlich ist Leipzig so etwas wie sein Lieblingsgegner, für den BVB erzielte er drei Doppelpacks gegen RB. Doch dann verändert sich alles. Haaland nimmt überhaupt nicht Teil am Spiel, findet null Zugang. Wird zwar hier und da gesucht, aber so gut wie nie gefunden. Am Ende der ersten Hälfte stehen null Torschüsse, mickrige sieben Ballberührungen. Aus Thor wird Loki, der nicht mehr vor Kraft strotzt, sondern seine Gestalt zu einem Allerweltsstürmer wandelt.

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Bei der Niederlage gegen Tottenham war Haalands Leistung kaum wahrnehmbar.

(Foto: IMAGO/PA Images)

Dabei ist das Spiel der Skyblues eigens auf Haaland und seine Stärken zugeschnitten. Das scheint das Problem zu sein. Loki wird im 18. Jahrhunder gar die Rolle des Teufels zugeschrieben. So weit sind sie in England noch nicht und dennoch wird der Norweger trotz seiner Torrekorde immer umstrittener. Experten (mit etwas mehr Expertise Liverpool-Legende etwa Jamie Carragher, mit etwas weniger etwa Dietmar Hamann) kritisieren, dass die Citizens ein besseres Team gewesen wären im vorherigen Jahr. Und zwar, weil Haaland damals beim BVB kickte, das Spiel der Startruppe von Guardiola nicht komplett auf einen Stürmer angelegt worden wäre. Heute spiele City zu ausrechenbar, so die Beobachter. Stürmer-Ikone Thierry Henry kritisierte etwa die immer gleichen Laufwege der Youngsters. Als Beweis dafür fängt selbst das schwache RB Leipzig der ersten Halbzeit die Pässe in die Tiefe auf Haaland stets ab und bekommt bei den Zuspielen in den Rücken der Abwehr immer ein Bein dazwischen.

Trotz der 26 Treffer in 23 Ligaspielen des Torjägers (mehr als Englands Torschützenkönige in 16 von 30 Premier-League-Spielzeiten), heißt es, spiele seine Mannschaft nicht erfolgreich genug. Denn treffe Haaland nicht, sei er qua seines Spielstils (lässt sich nicht ins Mittelfeld oder auf die Außen fallen) unbrauchbar. Und City damit massiv geschwächt. In neun der elf Pflichtspiele, die Manchester nicht gewinnen konnte, war der Norweger an keinem Tor beteiligt. Bei der bitteren Pleite im Stadtderby gegen United im Januar sammelte er gerade einmal 19 Ballkontakte. Anfang Februar brachte er es gegen Tottenham gar auf null Ballkontakte im Strafraum und ebenso wenig Torschüsse. Und jetzt Leipzig. Die Kritiker dürften sich wieder einmal bestätigt sehen.

Haaland nur beim Jubel mittendrin

Die Citizens patzten nicht nur in Sachsen, sie humpeln in dieser Saison so arg wie schon lange nicht mehr und haben in der Liga ganze acht Punkte weniger auf dem Konto als zu dem Zeitpunkt im vergangenen Jahr. Selbst nach dem 3:1-Sieg über den FC Arsenal, samt kurzer Behauptung der Tabellenspitze in der Premier League, vor einer Woche patzte der Meister direkt im Anschluss bei Nottingham Forest. City muss in diesem Jahr, gerade weil die Meisterschaft bald futsch sein könnte und weil der Klub vom Finanzskandal derzeit gehörig durchgeschüttelt wird, weit kommen in der Champions League, um die Fans zufriedenzustellen. Am besten muss der ganz große Titel her. Der, auf den Guardiola seit Jahren hinarbeitet. Der aber für den Klub so schier unerreichbar scheint.

Aus diesem Grund haben die Skyblues Erling Haaland, den Thor, verpflichtet. Eigentlich. Der 22-Jährige soll mit seiner magischen Power und Treffsicherheit in den wichtigen Spielen den Unterschied machen. Soll die Mannschaft endlich auf den Gipfel Europas hieven. Soll das schaffen, was Guardiolas gut geölter Schnellpassmaschine ohne echten Mittelstürmer und trotz Kevin De Bruyne, Gündogan, Gabriel Jesus, Sergio Agüero und wie die Offensivraketen noch alle hießen über die vergangenen Jahre, einfach nicht gelingen wollte. Schließlich holte sich zuletzt oft jener Klub den Henkelpott, der den erfolgreichsten Stürmer in den eigenen Reihen hatte.

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„Und in der nächsten 68. Minute macht er ihn wieder rein.“

(Foto: IMAGO/MB Media Solutions)

Doch Haaland erzielt nicht nur in den fünf Ligaspielen gegen „Big Six Clubs“ lediglich ein Tor, er kann auch in seiner ersten K.-o.-Partie in der Königsklasse für Manchester nichts ausrichten. Das 1:0 seiner Mannschaft in Leipzig fällt ohne seine Beteiligung (27.). Xaver Schlager unterläuft tief in der eigenen Hälfte ein katastrophaler Fehlpass, Jack Grealish spielt flink einen Pass auf İlkay Gündoğan, der aber durch Freund und Feind hindurchrollt. Rihad Mahrez joggt locker vorbei, der Ball trudelt vor seine Füße und er schiebt eiskalt ins rechte untere Toreck ein. Immerhin bei der Jubeltraube ist Haaland mittendrin.

Abgeklärt und dominant ist es, was City hier spielt. Berauschend aber beileibe nicht. Keine atemberaubenden Ballstafetten, keine Chancen im Minutentakt. In der zweiten Hälfte sind sie sogar dem Rückstand nahe. Bei einem Weiterkommen dürfte ihn das in den nächsten K.-o.-Runden vor große Probleme stellen: Stärkere Mannschaften werden offensiv weitaus gefährlicher als RB agieren und Manchester für ihre geringe Durchschlagskraft und zu einfache Ausrechenbarkeit – für die Verwandlung Thors zu Loki – bestrafen.

Haaland vermisst Ball und Tor

Dann aber Achtung in der Red Bull Arena: Haaland kommt doch noch zu einer Ballberührung. Gekonnt lupft er die Kugel an, er hat ja neben seiner Athletik auch ein feines Füßchen. Blöd nur, dass eine Sekunde zuvor Schiedsrichter Serdar Gözübüyük abgepfiffen hat. Haaland hebt sich den Ball mit dem Treter in die Hände. Als hätte er ihn vermisst. Von Treffern ganz zu schweigen.

So weit ist es gekommen für den Stürmer, der als Donnergott Thor Torrekord um Torrekord knackte. Fliegt Erling Haaland in seiner ersten Saison mit Manchester City früh aus der Champions League, werden seine Kritiker immer lauter. Doch es gibt auch gute Nachrichten für den 22-Jährigen: Fußball ist schnelllebig, ein paar Treffer können schon bald alles wieder verändern und Loki vergessen machen.

In der nordischen Mythologie geht aus dem Untergang der Götter eine schönere Welt hervor. Genannt wird das „Götterdämmerung“. Und in der nächsten 68. Minute macht er ihn wieder rein.

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