VAR-Debatte: Wie wäre es mit der „Challenge“?

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Auch am 21. Spieltag der Fußball-Bundesliga reißen die Diskussionen über den VAR nicht ab, befeuert vor allem durch die fragwürdige Rote Karte für den Münchner Dayot Upamecano. Könnte ein Eingriff ins Regelwerk für Abhilfe sorgen?

Auch fünfeinhalb Jahre nach der Einführung des Video-Assistenten in der Fußball-Bundesliga gibt es über einen wesentlichen Aspekt nach wie vor hitzige Diskussionen: Wann ist ein Eingriff des VAR geboten und wann nicht? Auf dem Papier ist die Antwort einfach: Eine Intervention soll es nur bei einer klaren und offensichtlichen Fehlentscheidung des Schiedsrichters in einer spielrelevanten Situation geben oder wenn der Unparteiische einen schwerwiegenden Vorfall übersieht. Die Praxis aber stellt sich deutlich komplizierter dar: Immer wieder gibt es Fälle, in denen für die einen zweifelsfrei feststeht, dass der Referee sich gravierend geirrt hat, während die anderen die Entscheidung korrekt, vertretbar oder doch zumindest nicht völlig abwegig finden.

Dass es zu solchen sehr unterschiedlichen Bewertungen kommen kann, liegt nicht zuletzt daran, dass es bei der Auslegung und Anwendung des Fußball-Regelwerks in der Praxis einen recht großen Graubereich gibt, der Ermessensspielraum für die Unparteiischen also durchaus erheblich ist. Das gilt insbesondere für die Bewertung von Zweikämpfen und Handspielen, teilweise auch für die persönlichen Strafen. Entsprechend ist es oftmals nicht so leicht, die Grenze zu ziehen zwischen einer Entscheidung, die mit Bauchschmerzen gerade noch zu rechtfertigen ist, und einer, für die es kein valides Argument gibt. Dass eine Szene oft genug auch durch die Vereinsbrille gesehen wird, kommt wesentlich hinzu.

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Fußball19.02.23

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Vor Wochenfrist hatte sich der VfB Stuttgart, insbesondere sein Trainer Bruno Labbadia, über einen Eingriff des VAR zuungunsten der Schwaben in deren Partie beim SC Freiburg (1:2) echauffiert. Die Intervention hatte zu einem längeren On-Field-Review und schließlich zu einem Foulelfmeter für die Freiburger geführt, aus dem deren Siegtreffer resultierte. Die Stuttgarter wandten ein, Schiedsrichter Sascha Stegemann habe auf dem Feld die klare und bewusste Entscheidung getroffen, weiterspielen zu lassen. Das könne jedenfalls nicht offensichtlich falsch gewesen sein, wenn die Überprüfung am Monitor so lange gedauert habe. Der Eingriff des VAR sei somit nicht geboten gewesen. Labbadia fand gar, die Unparteiischen würden von den Video-Assistenten „enteiert“.

Rot für Upamecano war überhart

Umgekehrt verhielt es sich am Samstagnachmittag in der Partie zwischen Borussia Mönchengladbach und dem FC Bayern München (3:2): Da hätten es die Bayern gerne gesehen, wenn Schiedsrichter Tobias Welz sich seine Entscheidung, Dayot Upamecano schon nach acht Minuten des Feldes zu verweisen, noch einmal am Monitor angeschaut hätte. Der Verteidiger hatte Alassane Pléa bei einem Laufduell wenige Meter vor dem eigenen Strafraum kurz und leicht an die Schulter gegriffen. Der Gladbacher, der nur noch Torwart Yann Sommer vor sich hatte, war daraufhin erst ins Straucheln geraten und schließlich zu Boden gegangen. Referee Welz bewertete Upamecanos Einsatz als Foulspiel und zudem als Vereitelung einer offensichtlichen Torchance – die unstrittig vorlag.

In der Sendung „Doppelpass“ sagte Welz, Pléa sei durch Upamecanos Griff an die Schulter aus der Balance gekommen, das sei für ihn „das entscheidende Argument“. Der Gladbacher sei alleine auf den Torwart zugelaufen und habe das Tor erzielen wollen, weshalb es für ihn keinen Grund gegeben habe, sich fallen zu lassen. VAR Tobias Stieler hätte, so der Spielleiter, „keine anderen Bilder liefern können“ – sprich: keine, die Welz‘ Wahrnehmung widerlegten. Deshalb kam es nicht zu einem Eingriff. Die Entscheidung habe im Graubereich gelegen und sei „damit absolut nichts für den Videobeweis“ gewesen, sagte der Schiedsrichter aus Wiesbaden.

Welz‘ Bewertung des Zweikampfs zwischen Upamecano und Pléa teilten viele nicht, wofür es gute Gründe gab: Der Impuls gegen die Schulter des Gladbacher Angreifers war nur gering, und es ist zweifelhaft, dass er wirklich ausschlaggebend dafür war, dass Pléa aus dem Tritt kam und fiel, selbst wenn er mit einigem Tempo unterwegs war. Upamecanos Einsatz als Stoßen, Halten oder Ziehen zu bewerten, war eine überharte Entscheidung, Weiterspielen wäre die deutlich bessere Entscheidung gewesen. Aber war die getroffene deshalb glasklar und unzweifelhaft falsch?

Auch in England gibt es Streit über den VAR

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Sport19.02.2301:08 min

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Tobias Welz hat jedenfalls deutlich gemacht, dass er zu seiner Entscheidung steht, auch mit zeitlichem Abstand. Die Diskussionen über den Video-Assistenten gingen dennoch – oder gerade deshalb – weiter, und es bleibt dabei, dass sich im Wesentlichen zwei Positionen gegenüberstehen: Für die einen soll die Eingriffsschwelle möglichst hoch sein, den anderen wäre es lieber, wenn der Schiedsrichter häufiger an den Monitor liefe, um sich selbst noch einmal ein Bild zu machen. Mal dominiert die eine Position in der Debatte, mal die andere.

Einig sind sich beide Lager in ihrer Unzufriedenheit mit dem VAR – was übrigens kein spezifisch deutsches Problem ist. In anderen großen Profiligen gibt es ähnliche Debatten und eine ähnliche Kritik. So etwa in der englischen Premier League, wo die Schiedsrichtervereinigung PGMOL nach dem vorvergangenen Spieltag in einer Erklärung mehrere gravierende Fehlentscheidungen mit Beteiligung der VAR eingeräumt hat. Vom Video-Assistenten Lee Mason – einem langjährigen, sehr erfahrenen Referee und VAR – hat sie sich sogar getrennt, „in gegenseitigem Einvernehmen“, wie es offiziell heißt. Der neue Schiedsrichter-Chef Howard Webb hat gerade alle Hände voll zu tun.

Was für eine „Challenge“ spricht

Die wiederkehrenden Diskussionen über den VAR dürften inzwischen viele ermüden, auch die Unparteiischen selbst. Doch die von manchen Fans geforderte Abschaffung des Video-Assistenten ist keine realistische Option – im Gegenteil wird der VAR in immer mehr Ländern und Wettbewerben eingeführt. Denn bei aller Kritik trägt er, nüchtern betrachtet, tatsächlich dazu bei, die Zahl der spielrelevanten Fehlentscheidungen signifikant zu reduzieren.

Vielleicht könnte es eine Idee sein, wenn die Regelhüter beim International Football Association Board und bei der FIFA ernsthaft über die Einführung einer sogenannten Challenge nachdächten, wie es sie bereits in einigen anderen Sportarten gibt, etwa beim American Football. Eine Challenge würde bedeuten, dass die Teams selbst entscheiden, wann eine Entscheidung des Schiedsrichters im Rahmen eines On-Field-Reviews überprüft wird.

Das würde das Problem der Eingriffsschwelle lösen, weil eine Intervention dann nicht mehr davon abhinge, ob der VAR eine Entscheidung als klar und offensichtlich falsch bewertet. Natürlich müsste die Zahl der Challenges begrenzt werden, etwa auf eine pro Team und Halbzeit. Würde die Entscheidung nach einem On-Field-Review geändert, bekäme das betreffende Team die Möglichkeit einer weiteren Challenge. Überprüft werden könnten nur jene spielrelevanten Entscheidungen, die auch jetzt schon im VAR-Protokoll aufgeführt sind: Tore, Strafstöße, Rote Karten, Spielerverwechslungen.

Die Unparteiischen würden von einer Bürde befreit

Schwarz-weiß-Entscheidungen – etwa ein Handspiel des Torschützen oder eine Abseitsstellung vor einem Treffer – könnten vom VAR weiterhin obligatorisch überprüft werden, würden also nicht unter die Challenge fallen. Gewiss: Auch dieses System hätte Nachteile – so könnte etwa ein gravierender Fehler nicht mehr überprüft werden, wenn alle Challenge-Möglichkeiten in Anspruch genommen wurden. Und natürlich gäbe es auch weiterhin Diskussionen über die finale Entscheidung, die der Referee nach dem Gang an den Monitor trifft. Das wird sich jedoch ohnehin nicht ändern lassen.

Aber die Unparteiischen und ihre Video-Assistenten wären von der Bürde befreit, in einem großen Graubereich festlegen zu müssen, wann die Grenzen zu Schwarz und zu Weiß überschritten sind. Die Verantwortung für die Entscheidung, wann eine Szene überprüft wird, läge bei den Teams – und auch das Risiko, mit einer Eingabe zu scheitern und dann in der jeweiligen Halbzeit keine weitere Möglichkeit mehr zu haben, ein On-Field-Review zu beantragen. Die Challenge könnte Bewegung in die verfahrene und verhärtete Diskussion über den VAR bringen. Und sie könnte die Schiedsrichter entlasten.

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