In diesem Duell prallt Urgewalt auf Historie

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Ein Spiel für die Geschichtsbücher: Mit Patrick Mahomes und Jalen Hurts stehen sich im Super Bowl nicht nur die angeschlagenen Quarterbacks der besten Teams der NFL gegenüber, sondern auch zum ersten Mal zwei Schwarze Spielmacher. Die Strahlkraft ist gewaltig – doch taugen die beiden als Helden?

Hier ein flotter Spruch, da eine Floskel. Dazu noch viel US-typischer Schmalz samt einstudiertem Lächeln. Relaxed und selbstbewusst beantwortet Patrick Mahomes die unzähligen Fragen des Journalistenpulks im Teamhotel 30 Autominuten außerhalb von Phoenix. Kurze, schwarze Hosen, dazu schwarze Sneaker von Adidas, das Trikot seiner Kansas City Chiefs locker über einen schwarzen Hoodie gezogen – die Ruhe und die Selbstsicherheit sind nicht gespielt. Mahomes zeigt der Welt: Ich bin hier der Boss, ich schaukele das Schiff schon.

Der Quarterback sendet dieses Zeichen vor allem an den Gegner im Super Bowl, die Philadelphia Ealges, und an seinen direkten Gegenüber, Jalen Hurts. Schließlich ist es Mahomes, der schon zum dritten Mal im NFL-Endspiel steht, der nicht nur eine unglaublich gute Saison hinter sich hat, sondern diese „das größte Alles-oder-Nichts-Spiel“ im Football wichtige Erfahrung aufweisen kann. Der stets diese Coolness und Lockerheit versprüht, die er auf dem Rasen in für jeden Gegner gefährlichen Spielwitz umwandelt. Da flachst er sogar noch mit der Presse über seinen Lieblingssong von Rihanna, die in der Halbzeit der Super Bowls singen wird (seine Antwort: „Work“ featuring Drake. „Das bringt den Club jedes Mal zum Kochen!“).

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Sport12.02.23

Menschenhandel, Verräter, TrumpEin dunkler Schatten begleitet den Super Bowl

Jalen Hurts hingegen feiert zwei Viertel vor Rihanna seine Premiere auf dem Rasen. Doch auch wenngleich er unerfahrener ist, gilt er als einer der Durchstarter der Saison. Als einer, der den Sprung zum Superstar-Quarterback geschafft hat. Der wie kaum ein anderer Spielmacher harte Arbeit, Führungsqualitäten, Würfe und aberwitzige Läufe zu Erfolg ummünzt. Und so strotzt auch er in Phoenix nur so vor Selbstbewusstsein.

Mahomes macht’s historisch

Beide Spielmacher haben gute Gründe für ihre Hochgefühle, führen sie doch die beiden besten Teams der Saison an. Hurts bringt die reguläre Saison über 66,5 Prozent seiner Würfe an den Mann (bei tiefen Würfen immer noch starke 40 Prozent) und verliert nur ein einziges Spiel (bei den anderen beiden Eagles-Pleiten fehlt er verletzt). Vor allem mit dem vor der Saison zu Philadelphia gewechselten Wide Receiver A.J. Brown, Hurts bester Freund aus dem College, harmoniert der Quarterback prächtig. Hinzu kommt Hurts formidables Laufspiel, übertroffen aber noch vom Running Back Miles Sanders, der in diesem Jahr persönliche Rekordzahlen auf den Rasen brachte. Außerdem kann der 24-Jährige auf eine der besten Defensiven der Liga bauen (70 Sacks und 301,5 Yards durchschnittlich vom Gegner; Chiefs mit 55 Sacks und 328 Yards), die in diesen Playoffs erst insgesamt 14 Punkte zuließ.

Über die unglaublichen Spielmacher-Fähigkeiten von Patrick Mahomes muss nicht mehr viel geschrieben werden. Seine MVP-Saison ist für den neutralen Beobachter wieder einmal eine Augenweide und stellt ganz nebenbei den Saisonrekord für Gesamt-Yards (geworfen und erlaufen) ein, indem er die bisherige Marke von Drew Brees von 5,562 mit 5,614 übertraf. Der 27-Jährige führte die Liga in etlichen Statistiken an, obwohl Superstar-Passempfänger Tyreek Hill die Chiefs verließ. Mahomes bediente in diesem Jahr gleich elf verschiedene Spieler für mindestens einen Touchdown. Im Laufspiel kann sich der Quarterback jetzt zudem auf Kometen-Rookie Isiah Pacheco verlassen.

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Sport11.02.23

Mord, Heilung, GeheimwaffePacheco – wütender Komet trotzt den Tragödien

Nicht nur aufgrund von starker Defensiven werden auf die Quarterbacks riesige Aufgaben zukommen im Endspiel. Sondern auch, weil Mahomes und Hurts wohl noch nicht hundertprozentig fit sind. Hurts verletzte sich zum Ende der regulären Saison an der Schulter, Mahomes zog sich in den Playoffs eine Knöchelverletzung zu. Antreten werden beide. Aber im Championship-Spiel gegen die Cincinnati Bengals konnte der Chiefs-Quarterback seinen rechten Fuß noch kaum belasten und sein Eagles-Gegenüber traute sich in den Playoffs erst achtmal für weiter als 15 Yards zu werfen – und brachte dabei nur zwei an den Mann.

Gebrochene Helden

Der Einarmige gegen den Einbeinigen: Einer von beiden wird über sich hinauswachsen und die Verletzung vergessen machen. Wie passend für den Super Bowl, damit bekommen die US-Amerikaner ihre Heldengeschichte. Und nichts mögen die Amis lieber als einen ehrlichen Helden. Tapfer. Stark. Für Gerechtigkeit sorgend. Erst kaputt, gebrochen und geschlagen, dann auferstanden. Mitfiebern. Einer, mit dem sich die Gesellschaft identifizieren kann. Und zwar die gesamte. Das ist in diesen Zeiten der extremen gesellschaftlichen Spaltung wichtiger denn je. Der Super Bowl und die NFL im Allgemeinen vereinen die US-Amerikaner und überbrücken die Kluften zwischen den Parteien seit jeher. Wenigstens für ein Wochenende. Doch klappt es auch mit dem Endspiel in Phoenix?

Diesmal ist die Sache komplizierter. Sowohl Mahomes und Hurts ist etwas, das sie für Teile der US-Gesellschaft vor einiger Zeit noch nicht zum Helden zugelassen hätte. Ihre Hautfarbe ist schwarz. Ein Blick wenige Jahre zurück zu Quarterback Colin Kaepernick und zur Debatte um den Kniefall genügt, um zu erkennen, welch ein Rassismus auch die NFL, in der etwa 70 Prozent der Spieler Schwarze und fast alle Coaches und Klub-Besitzer weiß sind, untergraben hatte und hat. 2016 und 2017 wurde Kaepernick auch von vielen Fans verbal angegangen und ausgebuht. Außerhalb der Stadien wurden Anti-Kaepernick T-Shirts verkauft, unter anderem mit seinem Gesicht im Fadenkreuz eines Zielfernrohrs. Landesweit wurden seine Trikots verbrannt.

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Sport13.06.20

Der Gegen-den-Wind-SeglerKaepernick – American Hero mit Verzögerung

Rassismus (systemischer wie offen ausgelebter) ist weiterhin eines der größten gesellschaftlichen Probleme in den USA. White Supremacy Anhänger die wohl größte interne Bedrohung für das Land. Umso bedeutender ist es, dass zum allerersten Mal in der NFL-Geschichte – fast genau 35 Jahre, nachdem Doug Williams als erster Schwarzer Quarterback bei den damaligen Washington Redskins in der Startelf stand und einen Super Bowl gewann – zwei Schwarze Quarterbacks im Super Bowl stehen. Die NFL, die einst für People of Color völlig tabu war, begann in den 1950er Jahren langsam mit der Integration. Doch selbst als immer mehr Nicht-Weiße in die Teams kamen, wurden sie von den Teambesitzern, Managern und Trainern weiterhin diskriminiert: Vor allem die so genannten „Denkerpositionen“ wie Center, Middle Linebacker und natürlich Quarterback wurde Spielern of Color nicht zugetraut.

Mahomes sieht „historischen Moment“

In der Medienrunde erklärt Mahomes auf Nachfrage von ntv.de, dass er sich der sensationellen und politischen Komponente dieses Super Bowls durchaus bewusst ist. „Es ist ein historischer Moment“, sagt der Quarterback. „Dies hier ist die Weltbühne. Dass dort zwei Schwarze Quarterbacks auf höchstem Niveau spielen, zeigt, wo wir im Football und in der Gesellschaft stehen. Wir bewegen uns vorwärts.“ Er wolle zeigen – ganz im Sinne der US-amerikanischen Heldengeschichten -, dass man Träume verwirklichen können, wenn man sie nur richtig verfolge.

Natürlich heißt das nicht, dass in der NFL (oder gar in den USA) das Thema Rassismus gelöst wäre. Aber es geht zumindest in der Footballliga voran: Knapp die Hälfte der 32 Teams der Liga setzte in dieser Saison einen schwarzen Quarterback ein und 29 Prozent aller Spiele in diesem Jahr hatten einen Schwarzen Center. Insgesamt haben 21 Quarterbacks of Color in dieser Saison mindestens einen Pass geworfen. So viele wie noch nie. Bis sich solch ein Fortschritt auch bei den Trainern und Besitzern durchsetzt, ist es aber noch ein langer Weg.

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Sport11.02.23

„Erfüllung schlimmster Ängste“Rivalität der Kelce-Brüder kratzt Super-Bowl-Mama auf

Mahomes merkt dementsprechend an, die Entwicklung sei „noch nicht fertig“ und müsse „weiter vorankommen“, man müsse „Kindern die Türen öffnen“, damit sie ihre Träume verfolgen könnten. Er hofft, dass das historische Duell von ihm und Hurts „nur ein erstes Mal ist und dass solch ein Ereignis immer öfter passiert und dass mehr Schwarze Quarterbacks die Chance bekommen, in den Kader aufgenommen zu werden und als Starter zu spielen.“

Bradys Nachfolger?

Zumindest historisch wird es also auf jeden Fall in der Nacht auf Montag, wenn die beiden Star-Quarterbacks aufeinandertreffen. Für Patrick Mahomes steht allerdings ungleich mehr auf dem Spiel. Mit dem Rücktritt von Tom Brady ist er als bester Quarterback der NFL bislang der einzige, der in der Konversation eines neuen GOAT (Greatest Of All Time) genannt wird. Mit seinen 27 Jahren hat der Chiefs-Spielmacher in nur sechs Spielzeiten und fünf als Starter bereits zwei MVP-Auszeichnungen als wertvollster Spieler der Liga erhalten.

Im Super Bowl LVII gegen die Eagles muss Mahomes nun den zweiten Titel einfahren – wenn er Übervater Brady mit seinen sieben Meisterschaftsringen auch nur annähernd auf die Pelle rücken und seine eigene Legende weiter ausbauen möchte.

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