Hat der FC Bayern München ein Kimmich-Problem?

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Vor dem Duell zwischen Paris Saint-Germain und dem FC Bayern München in der Champions League steht Joshua Kimmich besonders im Fokus. Der Nationalspieler setzt sich selbst einer Erwartungshaltung aus, der er kaum gerecht werden kann. Beeinträchtigt das seine Leistungen?

Joshua Kimmich und der Ball – ein perfektes Match. Der Mittelfeldstratege des FC Bayern München fordert ihn ständig, ist immer aktiv in Bewegung, um anspielbar zu sein. Manchmal übertreibt er es aber auch, hält den Ball einen Tick zu lange, um einen Gegenspieler zu locken und anschließend eine Lücke vor sich zu finden. In Leipzig beispielsweise bekam er am eigenen Strafraum den Ball zugespielt, dribbelte kurz nach innen und versuchte dann einen halblangen Chipball ins Zentrum zu spielen. Der Gegner fing diesen ab und traf zum 1:1. Besonders bitter: Kimmich verlor seinen Zweikampf gegen André Silva und ging viel zu leicht zu Boden.

Der Profi des FC Bayern ist nicht gerade bekannt als jemand, der viele Einblicke in seine Seele gibt. Steht er an den Mikrofonen dieser Fußballwelt, analysiert er meist sachlich und nüchtern das, was gerade Thema ist. Selten geht es dabei um ihn selbst. Eine Ausnahme bildete die langwierige Diskussion um seinen Impfstatus. Damals sah er sich dazu gezwungen, seine Unsicherheit preiszugeben.

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Collinas Erben06.02.23

„Collinas Erben“ werten ausKimmichs Platzverweis folgt aus Qual der Wahl

Auf den Sport bezogen wirkt Kimmich meist aber fokussiert, furchtlos und klar. Er will ein Anführer sein. Einer, der Verantwortung übernimmt und an dem sich andere orientieren können. Doch genau das könnte ihm auch zum Verhängnis werden. Ausgerechnet vor dem richtungsweisenden Champions-League-Spiel gegen Paris Saint-Germain (Dienstag, 21 Uhr) stellt sich die Frage, ob Kimmichs Ehrgeiz aktuell zu sehr in Richtung Verbissenheit tendiert.

Bei der WM 2022 in Katar sagte der 28-Jährige etwas, das viel zu wenig Beachtung fand: „Ich habe Angst, dass ich in ein Loch falle.“ Und weiter: „Diese Misserfolge sind mit meiner Person verbunden.“ Dementsprechend mache er sich Gedanken. Vielerorts wurden diese Gedanken schulterzuckend hingenommen. Aber was, wenn Kimmich sich selbst zu viel Druck macht?

Joshua Kimmich: Der angehende Kapitän sucht die emotionale Balance

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Flieg, Ball, flieg! Kimmich trifft gegen Köln.

(Foto: picture alliance / SvenSimon)

Spätestens jetzt, wo Manuel Neuer beim FC Bayern und auch in der Nationalmannschaft hinterfragt wird, könnte seine Zeit gekommen sein. In beiden Teams wird er als Kapitän der Zukunft gehandelt. Ähnlich aggressiv wie einst Philipp Lahm beim DFB wird Kimmich aber nicht vorgehen. Verschiedene Medien berichteten, dass er sich keinen Machtkampf mit Neuer liefern werde. Mit 28 Jahren scheint es dennoch angebracht, darüber zu diskutieren. Macht das vielleicht etwas mit Kimmich?

Der Start ins Jahr 2023 verlief für ihn jedenfalls wechselhaft. Da war einerseits dieses Sensationstor gegen den 1. FC Köln, das den FC Bayern vor einer Niederlage bewahrte. Andererseits gab es diesen Doppelfehler in Leipzig. Kürzlich hatte er in Wolfsburg zudem seine Emotionen nicht im Griff, sah dafür die Gelbe Karte und flog später nach einem weiteren Foulspiel vom Platz.

Zwar war dieser Platzverweis streitbar, doch gerade die erste Szene zeigt, dass es in Kimmich brodelt, er gerade wieder die innere Balance sucht. Die Gegenspieler stehen ihm zunehmend auf den Füßen, weil sie wissen, dass er der Dreh- und Angelpunkt des Spiels ist. „Es ist in den letzten Spielen mit der Manndeckung immer mehr geworden“, gab er nach dem Wolfsburg-Spiel bei „DAZN“ zu: „Es ist natürlich schwierig, wenn du einen im Rücken hast. Dann hast du wenig Gelegenheiten, das Spiel mit Blick nach vorne zu gestalten.“

Beim VfL sammelte er bis zu seinem Platzverweis in der 54. Minute lediglich 32 Ballkontakte. Zu wenig für jemanden, der sonst gern mal auf über 100 Kontakte in 90 Minuten zusteuert. Als Mattias Svanberg ihm in die Hacken trat und er dafür keinen Freistoß bekam, platzte Kimmich der Kragen. Er setzte zum Schubser an. Keine Tätlichkeit, aber ein Beleg des Frusts, der sich derzeit beim Nationalspieler angesammelt hat.

Joshua Kimmich und sein Ehrgeiz: Wäre weniger mehr?

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Joshua Kimmich im Zweikampf mit Leipzig-Stürmer Andre Silva.

(Foto: picture alliance / ZB)

Im Moment ist es eine etwas paradoxe Situation. Einerseits ist eine seiner größten Stärken der unbändige Wille zum Erfolg. „Joshua Kimmich ist noch ehrgeiziger“, sagte selbst Oliver Kahn im Januar 2021 bei „Sky 90“, als er darauf angesprochen wurde, ob der Mittelfeldspieler dahingehend mit ihm vergleichbar sei: „Wenn man den so im Training beobachtet. Nach dem Champions-League-Sieg hat er gesagt: ‚Ja, jetzt müssen wir die Champions League auch mit Zuschauern gewinnen.'“

Doch da ist eben diese andere Seite an Kimmich, die das Interview bei der WM ebenso hervorbrachte wie sein kurzer emotionaler Ausbruch in Wolfsburg. Eine, die ihm immer wieder den Vorwurf einbringt, zu verbissen zu sein. Sami Khedira beispielsweise wies darauf in einem Interview mit der „Sport Bild“ hin. „Er kann sich manchmal noch etwas mehr zurücknehmen, cleverer spielen, manchmal weniger wollen“, sagte der Weltmeister von 2014: „So wie Sergio Busquets: taktisch noch etwas cleverer werden, nicht zu viel wollen.“

Wie schmal der Grat zwischen positivem Ehrgeiz und negativer Verbissenheit ist, kann Kimmich bei Kahn erfragen. Der Titan sprach in den letzten Jahren mehrfach über seinen Burnout während seiner aktiven Karriere und wie sehr ihm der Druck zu schaffen machte. Das Anspruchsdenken, die Verantwortung nahezu komplett selbst schultern zu wollen, kann dazu führen, dass die eigene Leistung leidet.

Joshua Kimmich liefert herausragende Zahlen, aber …

Kimmich, das bestreitet auch Khedira nicht, ist ein „Weltklassespieler“. Mit 0,34 Assists pro 90 Minuten hat er in den letzten 365 Tagen so viele auf dem Konto wie nur wenige andere Mittelfeldspieler – insbesondere im Defensivbereich. Kevin de Bruyne kommt als offensiver Mittelfeldspieler beispielsweise auf 0,59 Torvorlagen. 5,36 Kimmich-Aktionen führen pro 90 Minuten zu einem Schuss. Dazu zählen Pässe, Dribblings und das Ziehen von Fouls. Auch ein abgewehrter Abschluss, der zu einem weiteren führt, kann gewertet werden. Damit ist er unter dem besten Prozent aller Mittelfeldspieler auf der Welt.

Dasselbe gilt für die Anzahl gespielter Pässe pro 90 Minuten (91,22) und die Anzahl progressiver Pässe (10,66). Kimmich ist Taktgeber, Spielgestalter und offensiv extrem gefährlich. Seine Chipbälle hinter die gegnerische Abwehrkette sind gefürchtet.

Gleichzeitig ignorieren die Zahlen ein Problem: Defensiv ist Kimmich allein vor der Abwehr nicht ausreichend. Mit 1,82 Interceptions pro 90 Minuten ist er ein hervorragender Passabfänger – und unter den besten sechs Prozent aller Mittelfeldspieler. Angesichts der hohen Ballbesitzwerte der Bayern ein Topwert.

FC Bayern: Wo wird Joshua Kimmich am ehesten gebraucht?

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Joshua Kimmich feiert im August 2020 den Gewinn der Champions League. Das will er noch einmal erleben.

(Foto: picture alliance / SVEN SIMON/FC Bayern Muenchen/ P)

Allerdings drängt es Kimmich immer wieder nach vorn und auch Trainer Julian Nagelsmann fordert das von ihm ein, weil er auf diese Überraschungsmomente nicht verzichten will, nicht verzichten kann. Kimmich agiert somit mehr als Achter und weniger als Sechser. Und in seiner besten Verfassung macht er das besser als die meisten anderen Spieler auf der Welt.

Nur wer sichert diese Offensivläufe dann ab? Leon Goretzka gilt als kongenialer Partner des gebürtigen Schwaben. Doch der ehemalige Bochumer ist selbst viel zu offensiv ausgerichtet, um immer die perfekte Absicherung zu sein. Und so kam es in der Vergangenheit häufiger zu Situationen, in denen dieses Wechselspiel der beiden zu defensiven Schwächen führte. Die Rufe nach einem neuen Javi Martínez wurden lauter. Der Baske sicherte einst Bastian Schweinsteiger defensiv ab und verhalf diesem so zu ungeahnter Konstanz.

Vielleicht ist es genau das, was Kimmich jetzt braucht: Einen Partner, der ihm mehr Druck von den Schultern nimmt. Denn auch mit dem Ball lastet zu viel auf ihm. Schafft es ein Gegner so wie Wolfsburg, Kimmich aus dem Spiel zu nehmen, ist der Ballvortrag des FC Bayern nicht nur träge und vorhersehbar, sondern oft auch viel zu wild.

Vor der WM waren Kimmich und sein Team in einer herausragenden Verfassung. Auch weil die Münchner es gut verstanden, ihren Strategen zu unterstützen und zu entlasten. Sei es durch die Präsenz von Jamal Musiala im Mittelfeld oder die vielen rotierenden Läufe in der Offensive.

Kann der FC Bayern die Last von Kimmichs Schultern nehmen?

Das hat sich geändert. Gegen den VfL Bochum war Kimmich am Wochenende gesperrt. Julian Nagelsmann war mit dem 3:0-Sieg alles andere als zufrieden, forderte bei „Sky“, dass sich das Team „einfach aktiver bewegen“ müsse. Er dürfte seinem angehenden Kapitän damit aus der Seele gesprochen haben.

Das Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain dürfte ein Schicksalsspiel für den FC Bayern werden. Nagelsmann stand zuletzt häufiger in der Kritik. Aber auch für Kimmich wird es ein richtungsweisendes Spiel. Zwar hat er die Champions League bereits gewonnen und erspart sich so gewisse Diskussionen, die einige seiner Vorgänger ertragen mussten. Doch in ihm brennt das Feuer, den Henkelpott nochmal zu gewinnen. Zumal die Situation 2020 coronabedingt außergewöhnlich war.

Kimmich ist jemand, der aus dem Druck, den er sich selbst macht, Kraft zehren kann. Aber vielleicht ist er zugleich jemand, der es hin und wieder damit übertreibt. Einblicke in seine Seele gibt es nicht. Aber auf dem Platz hat er vereinzelt Momente, in denen er sich definitiv zu viel zumutet. So wie in Leipzig, als er die einfache Lösung vermied und in ein Gegentor rannte. Gegen Köln wiederum übernahm er die Verantwortung und rettete den Punkt.

Die Kritik an ihm spielt sich natürlich auf sehr hohem Niveau ab. Druck und Selbstanspruch sind bei Kimmich aber enorm. Und so soll auch das Duell mit Paris in gewisser Weise dem Rhythmus folgen, den er vorgibt. Viel Last auf den Schultern eines Einzelnen. Für den FC Bayern wird es gerade in Paris wichtig sein, ihm diese Last ein Stück weit abzunehmen.

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