Matija Pecotic ist zweimal auf dem Sprung, sich als Profi im Schatten des ganz großen Tennisbetriebs einzurichten. Zweimal wird der Kroate ausgebremst. Seinen Profitraum erklärt er für beendet. Doch das Schicksal gibt dem 33-Jährigen eine große Chance – und die nutzt er.
Rund zwölf Millionen Dollar hat Jack Sock in seiner Tenniskarriere erspielt, der US-Amerikaner gewann auf der ATP-Tour vier Turniere im Einzel, im Doppel triumphierte er bei drei Grand-Slam-Turnieren, 2016 holte er Bronze im Doppel und Gold im Mixed bei den Olympischen Spielen. Das Jahr 2017 beendete der heute 30-Jährige auf Platz acht der Weltrangliste, danach ging es aufgrund zahlreicher Verletzungen in der Weltrangliste bergab, erst 2020 konnte Sock wieder ein ATP-Match gewinnen. Aktuell wird der Olympiasieger auf Platz 143 der Weltrangliste geführt.
Und obwohl Sock schon seine 13. Profi-Saison spielt und so viel erlebt hat, macht der amtierende Laver-Cup-Sieger (mit Team Welt) immer noch neue Erfahrungen: Bei den Delray Beach Open wird er Teil eines kleinen Tenniswunders. Weil der ehemalige Topstar gegen einen verliert, den niemand kannte. 6:4, 2:6, 2:6 unterlag Sock Matija Pecotic, inzwischen ein Feierabendprofi mit Vollzeitjob. Der Kroate, der seit vielen Jahren in den USA lebt und arbeitet, gewann mit 33 Jahren zum ersten Mal überhaupt ein Match auf ATP-Level. Nur Stunden, nachdem er Feierabend machen durfte. „Ich musste heute früher mit der Arbeit aufhören. Mein Chef hat mich freigestellt“, sagte der überglückliche Pecotic nach dem Match. „Ich bin sprachlos, und das kommt nicht oft vor.“
„Das war ein harter Moment“
Pecotic war mal auf dem Sprung zum Tennisprofi: Ende 2015 hatte sich der Kroate bis auf Platz 206 der Weltrangliste hochgekämpft, seine Punkte dafür sammelte er auf der Ochsentour durch die unteren Ligen des Welttennis. Doch das ist lange her: Verletzungen bremsten Pecotic aus, der Tennisprofi begann ein Studium an der Harvard Business School und schloss es ab.
Danach, mit dem Abschluss in der Tasche, wollte er es noch einmal wissen: „Ich hatte diesen tollen Abschluss, die Wirtschaft stand gut da, also habe ich gesagt: Zwölf Monate gebe ich mir, voller Fokus auf Tennis, All In. Wenn ich es bis auf Platz 250 schaffe, mache ich weiter, sonst war es das.“ Doch dann kam die Pandemie. „Ich habe das beste Tennis meines Lebens gespielt, habe mich in sechs Monaten bis auf Platz 320 oder so vorgearbeitet – und dann kam Covid. Der Tourbetrieb kam zum Erliegen, ich war 32 Jahre alt und hing in Europa fest. Das war ein harter Moment. Heute spiele ich, wann immer ich Zeit habe – und mein Job es zulässt.“
„… mein Ranking ist nicht gut genug“
„Director of Capital Markets“ ist der einstige Collegespieler inzwischen, ein Fulltime-Job bei einer Investmentgesellschaft in Florida. Klar, Pecotic, der heute auf Platz 784 der Weltrangliste geführt wird, trainiert vor der Arbeit ein bisschen, hinterher hält er sich mit Läufen fit. Um bereit zu sein für einen großen Moment. Der kam und Pecotic hat ihn genutzt.
Die Geschichte von Matija Pecotic bei den Delray Beach Open, einem Turnier mit zahlreichen Topspielern im Feld, hätte eigentlich schon vor ihrem Beginn zu Ende sein sollen: Er habe an der Qualifikation teilnehmen wollen, berichtete er auf dem Youtube-Kanal des Turniers, „aber mein Ranking ist nicht gut genug, ich spiele ja nicht mehr auf der Tour, ich habe einen Vollzeitjob. Also habe ich mich am Freitagabend als Alternate (Spieler, der ins Feld rutschen kann, wenn ein anderer seine Teilnahme zurückzieht – Anm. d. Red.) eingeschrieben, aber auch das hat nichts gebracht.“
„… dann gehe ich am Montag wieder zur Arbeit“
Er habe dann drei Schläger zum Bespannen auf der Anlage gelassen – und als er die am Samstagmorgen abholen wollte, habe der Supervisor „eine halbe Stunde vor dem ersten Match signalisiert, dass es möglicherweise doch eine Chance gibt, dass ich doch dabei bin.“ So kam es – und zwar so kurzfristig, dass es gar nicht alle mitbekommen hatten: „Als ich schon auf dem Weg zum Platz war, hat der Stadionsprecher noch den Spieler aufgerufen, für den ich ins Turnier gekommen bin.“ In der ersten Runde der Qualifikation schlug Pecotic Stefan Kozlov (Nummer 239 der Weltrangliste), danach Tennys Sandgren, der schon mal die Nummer 41 der Weltrangliste war. „Es war total unerwartet, Tennys zu schlagen war ein besonderer Spaß“, sagte Pecotic , der es damit zum ersten Mal in seinem Leben im Hauptfeld eines ATP-Turniers geschafft hatte- und ergänzte lachend: „Ich genieße das jetzt und schaue mal, wo das hinführt. Und wenn es nirgendwo hinführt, gehe ich am Montag wieder zur Arbeit.“
Jetzt geht es erstmal weiter, weil gegen Jack Sock der große Coup gelang. „Unter der Woche arbeite ich normalerweise von 9 Uhr bis 18 Uhr“, erzählte der Finanzprofi vor seinem Coup gegen Sock. „Manchmal trainiere ich mit meinem 70-jährigen Chef. Du musst kreative Wege finden, um Tennis und Job zu verbinden.“ Seinen Chef, der in Delray Beach während des Matches in der Box des Underdogs saß, werde er nun um einen weiteren freien Tag bitten. Diesmal fürs Achtelfinale, wo mit Marcus Giron die Nummer 55 der Weltrangliste wartet. Das Match startet heute Abend nicht vor 18 Uhr Ortszeit. Ein halber freier Tag würde also locker reichen für ein neues Tenniswunder.








