In den letzten Stunden vor der Trade Deadline verkommt das sportliche Geschehen in der NBA fast zur Nebensache. Ein gefühlt endloser Strom an Gerüchten dominiert stattdessen die Diskussionen, hier wird über angebliche Einigungen und geplatzte Verhandlungen gesprochen, dort werden überraschende Wechsel bestaunt und die Voraussetzungen für lang herbeigesehnte Transfers spekuliert. Der US-Sport steht ganz offen dazu, nicht nur Höchstleistung zu bieten, sondern auch für beste Unterhaltung zu sorgen. Die Trade Deadline spielt dabei eine Hauptrolle.
Es ist der letzte Tag der Saison, an dem die 30 NBA-Teams ihren Kader verändern können, indem sie mit anderen Teams Tauschgeschäfte vereinbaren. Um sich im Kampf um die Meisterschaft und die Playoffs zu verstärken, um sich finanzielle Flexibilität für die Zukunft zu verschaffen, um vermeintlich hoffnungsvolle, aber nicht erfolgreiche Kader-Konstruktionen aufzubrechen – oder auch, um den kompletten Neuaufbau einzuleiten. Ein Überblick über die wichtigsten Entwicklungen der Trade Deadline 2023.
Brooklyns Superteam-Fantasie endet abrupt: Groß waren die Erwartungen, als die Brooklyn Nets im Sommer 2019 mit Kevin Durant und Kyrie Irving gleich zwei absolute Superstars auf einmal verpflichteten. Rund dreieinhalb Jahre später ist der Traum, damit eine NBA-Dynastie einzuleiten, endgültig geplatzt. „Es hat nicht funktioniert“, gestand Manager Sean Marks daher ungeschönt ein. Irving, dessen Impfverweigerung ihn vorübergehend zum Teilzeitprofi machte und der zuletzt vor allem mit seiner Werbung für einen antisemitischen Film Schlagzeilen machte, läuft jetzt bei den Dallas Mavericks an der Seite von Luka Dončić auf. Durant wechselt aus New York zu den Phoenix Suns. Im Gegenzug erhalten die Nets zwar eine Reihe an höchst soliden Rollenspielern wie Spencer Dinwiddie, Dorian Finney-Smith oder Mikal Bridges – doch der Rückschritt beim Titelkandidaten, derzeit auf Platz fünf im engen Playoffrennen der Eastern Conference gelegen, ist unübersehbar.
Sowohl Irving als auch Durant hatten in den Tagen vor der Deadline einen Wechsel gefordert, beide bekamen ihren Wunsch nun erfüllt. Irving führte Dallas gleich in seinem ersten Spiel zum Sieg, Durant muss noch eine Knieverletzung auskurieren, ehe er Phoenix gemeinsam mit Devin Booker und Chris Paul zu einem Meisterschaftsanwärter macht. Der 34-Jährige ist einer der besten Offensivspieler in der Geschichte der Liga und kaum zu stoppen, wenn er fit ist und seinen Rhythmus findet. Bei den Brooklyn Nets steht nur noch Ben Simmons im Kader, der einst als kommender Superstar gehandelt wurde, mittlerweile aber weit weniger zum Erfolg beiträgt, als ein Vertrag über fünf Jahre und 177 Millionen Dollar vermuten lassen würde.
Phoenix spielt „Alles oder Nichts“: Im Juli 2021 führten die Phoenix Suns in den NBA Finals mit 2:0 Siegen gegen die Milwaukee Bucks und gaben den beinahe sicher geglaubten ersten Titel der Klubgeschichte mit vier Niederlagen doch noch aus der Hand gaben. In der Vorsaison ging das Team aus Arizona mit der besten Hauptrundenbilanz in die Playoffs, scheiterte dort aber spektakulär an den Mavericks, kassierte im entscheidenden Spiel in eigener Halle eine desaströse 90:123-Klatsche. Mit der Verpflichtung von Kevin Durant heißt es bei den Suns nun: jetzt oder nie.
Chris Paul wird im Mai 38 Jahre alt, der Point Guard hat immer wieder mit kleineren Wehwehchen zu kämpfen und verliert langsam, aber sicher das Rennen gegen „father time“. So nennen sie in den USA den Alterungsprozess, in dem die Leistung nachlässt. Devin Booker kann das Team zwar in der regulären Saison offensiv tragen, für die Playoffs aber braucht es Verstärkung. Und dafür ist Kevin Durant das wohl größtmögliche Upgrade. Der Forward ist aus jeder erdenklichen Position auf dem Feld in der Lage, für Gefahr zu sorgen, mit seiner Größe von 2,11 Meter kaum zu verteidigen. Um den 34-Jährigen zu holen, haben die Suns drei Spieler abgegeben und vier Erstrunden-Draftpicks in den Jahren 2023, 2025, 2027 und 2029. (Auslöser dafür, dass Erstrunden-Picks nur im Zwei-Jahres-Abstand abgegeben werden können, ist übrigens Ted Stepien, der vielleicht schlechteste Manager der Liga-Geschichte. Seine Geschichte können Sie hier lesen.) In der Hoffnung, damit das entscheidende Puzzleteil für Finaleinzug und Titelgewinn gefunden zu haben.
Dallas findet seinen zweiten Star: Luka Dončić ist unfassbar. In schöner Regelmäßigkeit verkündet die NBA, dass der slowenische Spielmacher wieder irgendeinen absurden Rekord aufgestellt hat, zuletzt etwa das erste 60-20-10-Spiel in 77 Jahren NBA: 60 Punkte, 21 Rebounds und 10 Assists, eine Statistik wie aus einem Videospiel. Was dem Dirk-Nowitzki-Nachfolger als Gesicht der Dallas Mavericks jedoch fehlte, war eine verlässliche zweite Option im Angriff. Das reichte im Vorjahr trotzdem für das Finale der Western Conference, aber: Viel zu oft musste der 23-Jährige sein Team in entscheidenden Phasen alleine tragen und darauf hoffen, dass die Rollenspieler einen guten Tag erwischen.
Mit Kyrie Irving dürfte das der Vergangenheit angehören. Abseits des Feldes skandalumwoben, gehört der 30-Jährige auf dem Parkett zur absoluten Elite. 27 Punkte bei guten Wurfquoten und 5,1 Assists legt er aktuell im Schnitt auf, niemand dribbelt so elegant wie Irving, der sich damit aus nahezu jeder Situation befreien kann. Spannend dürfte werden, mit welchen Eskapaden und Entgleisungen der achtfache All-Star von seiner sportlichen Klasse ablenkt.
Der bittere Absturz einer Legende: 198-mal hat Russell Westbrook ein Triple-Double aufgelegt, zweistellige Werte in drei statischen Kategorien. Punkte, Rebounds, Assists. NBA-Rekord, genauso wie die vier Saisons, über die er im Durchschnitt ebenfalls ein Triple-Double auflegte, das schaffte sonst nur Oscar Robertson 1961/62, in einer völlig anderen Ära des Basketballs. Trotzdem wird Westbrook aller Voraussicht nach als Unvollendeter in die Geschichte eingehen. Seine erratische Spielweise mit miesen Wurfquoten vor allem aus dem Drei-Punkte-Bereich hat ihn weder bei den Houston Rockets, noch bei den Washington Wizards ein Zuhause finden lassen – jetzt haben sich auch die Los Angeles Lakers von ihm getrennt.
„Addition by subtraction“ heißt es in US-Medien, sei die Motivation dafür gewesen, frei übersetzt: ohne Westbrook ist besser als mit Westbrook, zumal dieser mit einem Jahresgehalt von 47 Millionen US-Dollar einer der Spitzenverdiener der Liga ist. Der 34-Jährige wird zu den Utah Jazz geschickt, in einem Drei-Team-Trade mit den Minnesota Timberwolves erhalten die Lakers im Gegenzug drei Spieler, die den Kader hinter LeBron James verstärken sollen. Bei Westbrook dagegen scheint sogar denkbar, dass sein neues Team ihn aus dem Vertrag herauskauft – ihn also auszahlen, damit er nicht spielt, weil er der Entwicklung der Mannschaft im Weg stehen könnte. Die Höchststrafe für einen einstigen Superstar, der sich danach aber theoretisch einem neuen Team anschließen könnte.
Die Golden State Warriors geben ihr großes Projekt auf: Mit großen Hoffnungen kam James Wiseman als zweiter Pick des NBA-Drafts 2020 zu den Golden State Warriors. Die hatten in den Jahren zuvor drei Meisterschaften gewonnen, dann aber eine miese Saison erlebt und nun die Chance, in der Talente-Verteilung eine große Verstärkung zu finden, um die Ära ihres Superstars Stephen Curry zu verlängern. Überraschend für viele Beobachter fiel die Wahl auf Wiseman – und die Bedenken bestätigten sich. Der Center absolvierte seitdem gerade einmal 60 von 219 regulären Saisonspielen, einerseits wegen Verletzungen und andererseits, weil es sportlich offensichtlich einfach nicht reichte. Nun landet der 21-Jährige bei den Detroit Pistons und muss beweisen, dass er das Zeug für die NBA hat. Die Warriors dagegen bringen im Zuge weiterer Trades einen wichtigen Spieler der Meistermannschaft des Vorjahres zurück: Gary Payton II, Sohn des legendären Gary „The Glove“ Payton, kommt von den Portland Trail Blazers und soll vor allem die Defensive stärken. Er hatte Golden State nach dem Titelgewinn verlassen, weil die Warriors Berichten zufolge nicht bereit waren, die Strafzahlungen für das Überschreiten der Gehaltsobergrenze zu investieren, um ihn zu halten.
In weiteren Deals: John Wall hatte darauf gehofft, seine Karriere nach langwierigen Verletzungen und einer schweren Depression bei den Los Angeles Clippers wieder in Gang zu bringen, geklappt hat das jedoch nicht. Stattdessen schicken die Clippers ihn zurück zu den Houston Rockets, die umgehend mitteilen, ihn entlassen zu wollen. Der 32 Jahre alte Point Guard wäre damit frei für ein anderes Team, muss aber hoffen, dass einer der 28 verbliebenen Coaches eine Rolle für ihn sieht. Auch Derrick Rose, 2011 noch jüngster NBA-MVP, anschließend aber wie Wall von schweren Verletzungen aus der Bahn geworfen, könnte sich zeitnah auf diesem Markt wiederfinden, wenn die New York Knicks sich von ihm trennen. Dieser Buyout-Markt öffnet für gewöhnlich unmittelbar nach der Trade Deadline – und ist vor allem für die Teams interessant, deren Wünsche noch nicht erfüllt sind.








