Das Mega-Event Super Bowl wird zerfleischt: Politik, Entertainment und Kriminalität stellen den Football in den Schatten. Eindringliche Warnungen vor Menschenhandel machen die Runde, während Donald Trump wütet. Und religiöse Fanatiker wissen schon, wer gewinnt und verliert.
Ein Super Bowl ist nicht lediglich ein Super Bowl. Nicht einfach ein Footballspiel. Im größten singulären Sportereignis der Welt vereinen sich Sport, Politik, Entertainment, Wirtschaft – und auch Verbrechen. Jeder will den Trubel um das Endspiel nutzen. Phoenix platzt aus allen Nähten, in den US-Medien gibt es dieser Tage kein größeres Thema (mal abgesehen vom in Alaska aus dem Himmel geschossenen Flugobjekt). Das Duell zwischen den Kansas City Chiefs und den Philadelphia Eagles wird so mehr und mehr von einem dunklen Schatten begleitet.
Wie aufgeladen so ein Super Bowl ist, zeigen schon mehrere Tage vor dem Spiel die religiösen Fanatiker mit Cowboyhut auf jedem Bürgersteig in Downtown Phoenix, die mit ihren Mikrofonen ihre Botschaften den Passantinnen und Passanten mit voller Wucht ins Gesicht plärren. „Egal für wen du bist an diesem Wochenende, du hast schon verloren, wenn du nicht für Jesus Christus bist.“ Die Zeugen Jehovas stehen still an der Straßenecke gegenüber mit einem kleinen Stand mit Broschüren. In den Werbepausen bei der TV-Übertragung wird in diesem Jahr die umstrittene Kampagne „He Gets Us“ das Christentum anpreisen, die Verbindungen zu Rechtsextremen, Homophoben und Abtreibungsgegnern hat.
Wie sehr der Super Bowl bewegt, zeigt auch das Gedränge von Journalistinnen und Journalisten am Donnerstagmorgen im Medienzentrum. Was ist da los, schaut etwa Cristiano Ronaldo vorbei? Nein, Popstar Rihanna erscheint zu einer kleinen Medienrunde. Football? Hier verkommt der Sport zu einem Mittel zum Zweck für pures Entertainment. Sehen und gesehen werden. Rihanna hatte 2019 noch die Einladung der NFL, beim Super Bowl zu singen, abgelehnt, weil sie „sich nicht verkaufen“ und „keine Verräterin“ sein wollen würde. Es gäbe „Dinge in dieser Organisation, mit denen ich überhaupt nicht einverstanden bin“, sagte der Popstar damals und meinte den Rassismus in der Liga. Es ging ihr um Loyalität für Colin Kaepernick, den ehemaligen Quarterback der San Francisco 49ers, der nach seinen Kniefall-Protesten für Gleichberechtigung und gegen Polizeigewalt gegen People of Color 2017 aus der NFL verbannt wurde.
Trump gegen Rihanna
Diesen Kaepernick hatte der damalige Präsidentschaftskandidat Donald Trump 2016 als einen „Hurensohn“ beschimpft. Als respektlos gegenüber der US-Flagge und Soldaten, die für sie gestorben sind. Als Verräter am Vaterland. Der Republikaner lässt sich natürlich auch dieses Jahr nicht zweimal bitten, seinen persönlichen dunklen Schatten über den Super Bowl zu legen – und schon wird das NFL-Endspiel im Jahr vor der Präsidentschaftswahl zu einem politischen Spektakel.
Auf Truth Social schießt Trump am Donnerstag scharf gegen die Künstlerin. Der Ex-Präsident wirft Rihanna vor, „kein Talent“ zu haben und „schlecht“ in „allem“ zu sein. Rihanna ist bekannt als Trump-Kritikerin und die weltweit zweitbestverkaufte Musikerin aller Zeiten. Trumps Angriff erfolgt, nachdem einer seiner treuesten Anhänger, der Republikanische Kongressabgeordnete Ronny Jackson aus Texas, gefordert hatte, sie aus der Halbzeitshow des Super Bowl zu entfernen, weil sie Trump beleidigt habe. Jackson hatte auf Twitter einen Tweet Rihannas aus dem Jahr 2020 mit Bildern eines Autos herausgekramt, auf das die Worte „Fuck Trump“ gesprüht worden waren.
Indem Trump gegen Rihanna poltert, ein Star im linken Spektrum und vor allem Vorbild für viele Schwarze Frauen, verkommt der Super Bowl zum Stimmenfang am rechten Rand. Im konservativen Arizona, wo Trump 2016 knapp gewann und 2020 knapp verlor, kommt seine Botschaft bei vielen gut an. Wenn in Phoenix das Thema Politik angesprochen wird, beginnt schnell die Hetze gegen die „inkompetente“ Regierung. Manch einer gibt auch zu, dass er nach wie vor glaubt, Trump sei bei der Wahl 2020 betrogen worden und habe eigentlich gewonnen.
Rihanna selbst hat auf die Attacke des ehemaligen Präsidenten noch nicht reagiert. Anscheinend hat sie dieses Jahr jedoch kein Problem mehr mit der NFL, obwohl das Race-Problem in der Liga, in der niemand mehr aufs Knie geht und in der es weiterhin kaum Trainer und Klub-Besitzer of Color gibt, weiterhin besteht. Obwohl Kaepernick bis heute kein weiteres Profispiel bestreiten durfte. Ob sie nun eine Verräterin ist oder nicht, bleibt unbeantwortet. In der Medienrunde sagt die Künstlerin aus Barbados, ihr Auftritt sei für die „Repräsentation für Immigranten“ und „für Schwarze Frauen überall“.
Menschenhandel in Phoenix
Damit aber nicht genug mit der Politik rund um das Footballspiel in Phoenix. Auch Präsident Joe Biden mischt kräftig mit. Ein komisches Hin und Her der Regierung mit dem TV-Sender Fox endet dieser Tage damit, dass der Demokrat „Fox Soul“, einer kleinen Streaming-Plattform, die sich an Schwarze US-Amerikaner richtet, kein Interview geben wird. Eigentlich wollte Biden Teil der traditionellen Gesprächswelle vor dem Spiel werden, doch das White House teilte mit, Fox hätte das Interview gecancelt, während der konservative TV-Sender dem Präsidenten die Schuld für den geplatzten Termin in die Schuhe schob.
Eine weitaus düstere Thematik ist derweil in Phoenix omnipräsent. In Hotels, im Flughafen und an Ampeln hängen Poster, die warnen, dass „Menschenhandel“ in „unseren Kommunen stattfindet“. Verantwortlich für die Hinweise ist die Organisation „It’s a Penalty“, die auch Telefonnummern auf Visitenkarten verteilt, für den Fall, dass „der Verdacht besteht, dass Menschenhandel betrieben wird“. Als Anzeichen dafür sind unter anderem Menschen gelistet, die mehrere Handys und Hotelkarten mit sich führen, äußerliche Zeichen von Misshandlungen aufweisen, oder die nicht für sich selbst sprechen oder nur auswendiggelernte Antworten wiedergeben.
„It’s a Penalty“ gibt an, dass große Sportereignisse wie der Super Bowl von Kriminellen für den Menschenhandel ausgenutzt würden, weil die große Anzahl von Leuten in der Region und den Hotels das Vorgehen erleichtere. Demnach wurden vergangenes Jahr während des Super Bowls in Los Angeles 14 Kinder in Hotels als Opfer von Menschenhandel identifiziert. Beim Super Bowl in Tampa im Jahr davor waren es 18 Kinder. Die nationale Hilfe-Hotline bei Menschenhandel listet Arizona im Jahr 2022 im Vergleich der Bundesstaaten mit Menschenhandelfällen auf Rang 18.
Das internationale Netzwerk ECPAT (End Child Prostitution, Child Pornography & Trafficking of Children for Sexual Purposes) berichtet, dass in den USA jedes Jahr mehr als 100.000 Kinder für Sex verkauft werden. Nach Angaben des US-Justizministeriums sind 83 Prozent der Opfer von Sexhandel in den USA Bürger des Landes. Laut der United National Indian Tribal Youth ist Menschenhandel auch ein rassistisches Problem. Demnach machen indigene Völker, in Arizona sind 22 staatlich anerkannte indigene Nationen ansässig, nur gut ein Prozent der US-Bevölkerung aus, sind aber fast 25 Prozent der Opfer von Menschenhandel.


Ein Poster in einem Hotel in Phoenix warnt vor Menschenhandel.
(Foto: David Bedürftig)
„Anstieg der Nachfrage nach kommerziellem Sex“
Inwiefern ein Super Bowl wirklich Menschenhandel erleichtert, ist nicht gründlich genug erforscht. Dennoch wirkt das NFL-Endspiel schon bei einem einzigen Fall unnötig. „It’s A Penalty“ versucht, den Spieß umzudrehen und große Sportereignisse als Vehikel für globale und lokale Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen zu nutzen. „In Arizona ist das Durchschnittsalter der Opfer von Sexhandel nur 14 Jahre alt. Wir müssen also gemeinsam Teil der Lösung sein“, sagte Geschäftsführerin Sarah de Carvalho im Januar bei einem öffentlichen Termin. „Nur wenn wir zusammenarbeiten, können wir Menschenhandel und Ausbeutung verhindern.“
Das versucht auch die Polizei, die in den Tagen vor dem Endspiel enorme Präsenz zeigt. „Das Phoenix Police Department bereitet sich seit fast 18 Monaten auf den Super Bowl vor“, sagt Sergeant Phil Krynsky gegenüber ntv.de. Seine Behörde verfüge über eine Einheit, die das ganze Jahr über proaktive Operationen durchführt, um Opfer von Menschenhandel zu identifizieren und ihnen zu helfen. Das Police Department habe sich außerdem in den vergangenen Wochen mit 21 lokalen, staatlichen und bundesstaatlichen Behörden sowie mit Anbietern von Gesundheits- und Humandienstleistungen zu einer gemeinsamen Operation zusammengeschlossen, die bis nach dem Spiel andauern soll.
„Der Zustrom von Menschen im Umfeld eines Großereignisses führt zu einem Anstieg der Nachfrage nach kommerziellem Sex“, erklärt Krynsky die potenziellen Gefahren in Phoenix dieser Tage. Die Strafverfolgungsbehörden hätten aber Möglichkeiten, „diejenigen ausfindig zu machen und anzusprechen, die möglicherweise Opfer des Menschenhandels sind – insbesondere Jugendliche.“
Der Super Bowl ist nicht einfach ein Footballspiel. Auch Journalisten werden schon mal von angespannten Sicherheitskräften von einem öffentlichen Platz vertrieben, weil sie einen Rucksack mit sich führen. Nicht weiter schlimm. Die Religiösen krakeelen wenige Meter entfernt wieder laut. Und die Sonne brennt am Nachmittag ohnehin zu sehr – auch weil Trumps dunkler Schatten noch nicht bis in jeden Winkel der Stadt im Footballfieber reicht.








