Andre Kiesewetter gewann 1990 das bislang letzte Skispringen in Lake Placid. Nun ist der erste deutsche V-Springer in neuer Funktion zurück in den USA – und erinnert sich an die Wendezeit und wie auf einmal eine neue Hymne für ihn erklingt. Kurz danach bricht seine Karriere zusammen.
Lake Placid, Olympiaschanze, eiskalter Wind. Andre Kiesewetter ist zurück, nach 33 Jahren, und er kann es selbst kaum fassen. „Seit 1990 war ich nicht mehr hier. Ich bin direkt auf den Balken geklettert und habe dort oben alles noch einmal Revue passieren lassen“, erzählt der 53-Jährige am Telefon, klingt dabei nachdenklich und muss doch im nächsten Moment wieder lachen.
Kiesewetter ist als Physiotherapeut der Schweizer Skispringer in die USA gereist. Erstmals seit 1990 findet dort heute (16Uhr/ZDF und Eurosport) wieder ein Weltcup statt, der letzte Sieger dort heißt noch immer – Andre Kiesewetter. Der Thüringer gewann damals den ersten Wettkampf nach der Wiedervereinigung, und das im V-Stil, den er als erster deutscher Springer beherrschte.
Eine Verletzung von Jens Weißflog brachte ihm überhaupt den Platz im erstmals gesamtdeutschen Team. „Ich war unglaublich nervös. Unser Co-Trainer Walter Hofer hat dann gesagt: ‚Kiese, hätte Dir zu DDR-Zeiten jemand gesagt, dass Du in die USA fliegst, hättest Du das nicht geglaubt. Also genieße es.'“ Und er genoss es. Im zweiten Durchgang flog er zehn Meter weiter als der Rest und gewann trotz der Punktabzüge für den V-Stil.
Nach den USA gewann er noch ein Springen
Auf dem Treppchen wurde Kiesewetter gleich wieder nervös, denn erstmals erklang für ihn die neue Hymne. „Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl. Als Kinder durften wir in der DDR nicht einmal an diese Hymne denken. Und dann spielen sie die für dich. Ich war nicht textsicher, habe nur ein bisschen den Mund bewegt“, sagt Kiesewetter 33 Jahre später und lacht schon wieder.
Zwei Wochen später siegte er auch in Sapporo und fuhr als Führender des Gesamtweltcups zur Vierschanzentournee. Doch dort lief nichts mehr zusammen. „Ich kannte das doch gar nicht, diese Mädchenwelt. Die haben mich ja verfolgt, ich war so was von aufgeregt“, so Kiesewetter. Beim Finale in Bischofshofen landet er auf Rang 60 von 61 Teilnehmern. Einen Weltcup gewonnen hat er nie wieder.
In Lake Placid dagegen wurde sein Name sogar auf einer Plakette eingraviert. „Die hing damals im Aufenthaltsraum, jeder Sieger wurde dort verewigt“, erinnert er sich. Also hat er sich 33 Jahre später auf die Suche gemacht, bislang ohne Erfolg. „Es soll die Plakette aber noch geben. Vielleicht finde ich sie ja noch.“
Bis Montag hat Andre Kiesewetter noch Zeit, dann geht es wieder zurück nach Europa. Und dann wird es einen neuen Weltcupsieger geben, seinen direkten Nachfolger. Ist es nicht schade, dass er am Wochenende diesen Status verliert? „Iwo“, sagt er: „Aber ich fände es schön, wenn jemand gewinnt, den niemand auf der Rechnung hat. So wie damals bei mir.“








